Nukleare Störfälle

An der GeoSphere Austria kommen verschiedene Methoden zur Detektion von nuklearen Explosionen und zur Risikoabschätzung in einem nuklearen Störfall zum Einsatz.

Kommt es zu einer nuklearen Explosion oder zu einem Unfall in einem Kernkraftwerk, können radioaktive Stoffe in die Luft freigesetzt werden. Diese radioaktiven Substanzen werden mit dem Wind transportiert und sinken nach einer gewissen Zeit zu Boden oder werden von Regen oder Schnee ausgewaschen. So können radioaktive Stoffe sich je nach Wetterlage über große Gebiete und weit über Landesgrenzen hinweg verbreiten. Mithilfe von speziellen Ausbreitungsmodellen kann die Verfrachtung der radioaktiv kontaminierten Luftmassen vorhergesagt werden. So liegen bereits vor dem tatsächlichen Eintreffen einer radioaktiven Wolke und dem Vorliegen erster Messergebnisse des Strahlenfrühwarnsystems wichtige Informationen vor. Die GeoSphere Austria unterstützt das Staatliche Krisen- und Katastrophenschutzmanagement (SKKM) im nuklearen Störfall mit jederzeit abrufbaren Ausbreitungsrechnungen und meteorologischen Daten. Diese sind essenziell, um die Bevölkerung bestmöglich zu informieren und passende Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Neben der Vorwärtsmodellierung, womit berechnet wird, wohin sich von einem bestimmten Punkt aus eine radioaktive Wolke in den nächsten Stunden oder Tagen verlagert, können Ausbreitungsmodelle auch für den umgekehrten Fall verwendet werden, beispielsweise als Komplementierung des weltweiten Überwachungssystems von Nuklearwaffentests. Das Nationale Datenzentrum mit Sitz an der GeoSphere Austria (NDC-AT) beteiligt sich an diesem System. Dieses besteht aus Sensoren, mit denen Erschütterungen des Bodens (Seismik), der Atmosphäre (Infraschall) und Unterwasser (Hydroakustik) gemessen werden. Zusätzlich gibt es ein Messnetz von Radionuklid-Stationen. Diese Messungen gestatten eine eindeutige Zuordnung der Explosionsursache und ob diese einen nuklearen Hintergrund hat.

Nukleare Krisenfallvorsorge für Österreich

Im gesamtstaatlichen Notfallplan ist festgelegt, dass die GeoSphere Austria für den Fall eines radiologischen Notfalls Wetterdaten als Input für verschiedene Entscheidungshilfesysteme des staatlichen Krisenmanagements bereitstellt. Außerdem steht das von der GeoSphere Austria entwickelte Modell TAMOS zur Vorhersage der Verfrachtung von radioaktiv kontaminierten Luftmassen bereit. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Wetterlage und der prognostizierten Wetterentwicklung wird damit abgeschätzt, ob, wann und wo kontaminierte Luftmassen Österreich erreichen und wie hoch die Belastungen voraussichtlich sein werden. Das staatliche Krisenmanagement kann die Ausbreitungsrechnungen remote über eine eigene Benutzeroberfläche starten und dabei selbst Ort und Stärke der Freisetzung wählen.

Als Ergebnisse werden Grafiken der Konzentrationswolken, der nassen Deposition (das Auswaschen der Radionuklide aus der Atmosphäre mit Regen oder Schneefall) und der totalen Deposition (nasse Deposition kombiniert mit der Ablagerung der Schadstoffe am Boden durch Absinken) sowie Übersichtsgrafiken der zu erwartenden Ankunftszeiten der Wolke erstellt und dem SKKM bereitgestellt. Vor dem Eintreffen radioaktiver Luftmassen in Österreich sind die Ergebnisse der Ausbreitungsberechnungen ein wichtiger Beitrag zur Lagebewertung und – falls notwendig – zur Festlegung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung durch die zuständigen Strahlenschutzbehörden.

Eines von weltweit zehn Regionalzentren der Weltorganisation für Meteorologie

International ist die GeoSphere Austria im Auftrag der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) eines von weltweit zehn designierten Zentren für nukleare Ausbreitungsrechnungen, ein sogenanntes Regional Specialized Meteorological Centre (RSMC). Neben Wien gibt es Zentren in Exeter (UK), Melbourne (Australien), Montreal (Kanada), Obninsk (Russland), Offenbach (Deutschland), Peking (China), Tokyo (Japan), Toulouse (Frankreich) und Washington (USA).

Vorwärtsmodellierung: Unterstützung der Krisenfallvorsorge für Europa und Afrika

In ihrer Rolle als Vorwärtsrechenzentrum ist es Aufgabe der GeoSphere Austria, in einem nuklearen Krisenfall in Europa oder Afrika Ausbreitungsrechnungen zur Unterstützung der Wetterdienste und Behörden der betroffenen Länder anzufertigen und diese, gemeinsam mit den Zentren in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, mittels eines gemeinsam verfassten Textes bei der Interpretation der Modellergebnisse zu unterstützen.

Im Übungs- wie im Ereignisfall starten bis zu zehn Regionalzentren Ausbreitungsrechnungen und liefern dieselbe Art von Ergebnissen in vergleichbarer Art der Darstellung. Hierbei arbeiten die zehn Zentren mit verschiedenen Ausbreitungsmodellen und meteorologischen Eingangsdaten von unterschiedlichen Wettermodellen. Die GeoSphere Austria ist das einzige Regionalzentrum, welches das FLEXPART-Ausbreitungsmodell für die Berechnung verwendet. Durch den Vergleich der Ergebnisse von den unterschiedlichen Ausbreitungsmodellen kann eine gewisse Abschätzung der Unsicherheiten in der Vorhersage vorgenommen werden und es wird die Sicherheit bei der Interpretation der Ergebnisse erhöht.

Detektion von Nukleartests

Die Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) betreibt ein internationales Überwachungssystem mit mehr als 300 weltweit verteilten Messstationen. Dabei kommen vier verschiedene Technologien zum Einsatz: Seismik, Hydroakustik, Infraschall und Radionuklide. Mit diesen Technologien können Erschütterungen des Bodens, der Atmosphäre und Unterwasser sowie einige Radionuklide gemessen werden, so sie über eine bestimmte Stärke verfügen.

Überwachung der Einhaltung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen

Viele Staaten haben sich vertraglich verpflichtet, keine Nuklearwaffentests durchzuführen. Um zu überprüfen, ob Staaten sich an diese Verpflichtung halten, gibt es ein weltweites Überwachungssystem. Alle Staaten, die sich verpflichtet haben, keine Tests durchzuführen, können auf Daten dieses Systems zurückgreifen und so überprüfen, ob der Vertrag eingehalten wird. In Österreich wird diese Überprüfung durch das Nationale Datenzentrum mit Sitz an der GeoSphere Austria durchgeführt. Das Überwachungssystem basiert unter anderem auf seismischen Messungen, womit neben Erdbeben beispielsweise auch Explosionen im Rahmen von Nukleartests nachgewiesen werden können.

Im Zuge von Experimenten wurde eine Reihe von konventionellen Explosionen für Kalibrierungszwecke durchgeführt. Durch diese Tests ist sichergestellt, dass eine unterirdische Explosion von 300 Tonnen TNT-Äquivalent weltweit vom Messnetz detektiert und lokalisiert werden kann.

Unterstützend wirken die zusätzlichen Messungen von Radionukliden. Wird irgendwo auf der Erde erhöhte Radioaktivität gemessen, kann die Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) Ausbreitungsrechnungen der GeoSphere Austria im Zuge des WMO-CTBTO atmospheric backtracking response Systems anfordern. Diese unterstützen bei der Eingrenzung des Herkunftsgebietes und bei der Identifikation möglicher Quellen. Durch Kombination dieser unterschiedlichen Technologien kann der Quellterm abgeschätzt und der Freisetzungsort mit hoher Genauigkeit bestimmt werden.

Um im Anlassfall unverzüglich relevante seismische Daten und Produkte des Internationalen Datenzentrums der CTBTO zu sammeln und auszuwerten, wurde am Nationalen Datenzentrum ein Warnsystem eingerichtet. Per SMS wird der oder die zuständige Mitarbeitende über verdächtige Ereignisse informiert. Im Falle eines kritischen Ereignisses wird ein Bericht an die nationale Behörde erstattet.

Sämtliche Ereignisse der von der Demokratischen Volksrepublik Korea (weithin bekannt als Nordkorea) durchgeführten Testserie wurden von unserem Nationalen Datenzentrum analysiert. Beginnend mit dem Jahr 2006 wurden sechs verdächtige Ereignisse auf dem Testgelände Punggye-ri in der Provinz Hamgyŏng-pukto beobachtet. Die Ereignisse wurden weltweit mit den seismischen Stationen der CTBTO, aber auch von Stationen des Österreichischen Erdbebendienstes registriert. Das bislang stärkste und auch letzte Ereignis dieser Testreihe fand am 3. September 2017 statt.